#38 Von Strichen im Kalender
Shownotes
Du möchtest mehr über mich als systemische Beraterin und Therapeutin erfahren? Dann schau gern auf meiner Praxis-Website vorbei unter https://www.goe-systemische-beratung.de/de/
Du interessierst dich für eine systemische Weiterbildung und bist neugierig darauf, wo ich Institutsleitung bin? Dann schau beim Kasseler Institut für systemische Therapie und Beratung e.V. vorbei.
Du möchtest mehr über meine Arbeit mit Führungskräften und Teams erfahren? Dann schau gern hier vorbei.
Und für mehr systemische Impulse folge mir auf Instagram!!
Transkript anzeigen
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von fragmalneda.
Die heutige Folge ist ein bisschen persönlich und ich hoffe, dass bei den Gedanken, die ich mir teilen möchte, etwas für dich hilfreiches dabei ist. Vielleicht wunderst du dich über den Titel dieser Folge – was soll denn das heißen, Striche im Kalender? Für mich ist diese Formulierung in den letzten zwei Jahren die gängige Formulierung für Pausen geworden. Sie entstand im Gespräch mit einer Kollegin, als wir über sich schnell füllende Kalender als Selbstständige sprachen. Beide lieben wir das, was wir tun und die Begeisterung für Klient:innen, Projekte, Lehre und alles, was sonst noch so interessant ist, sorgt dafür, dass wir zu vielem „JA!“ sagen. Auch, wenn das vielleicht bedeutet, 6 Tage am Stück Seminar zu geben. Oder die Anzahl an Urlaubswochen im Jahr schrumpft.
Meine Kollegin erzählte mir von einer Angewohnheit: Spätestens Mitte eines Jahres nimmt sie sich den Kalender fürs nächste Jahr vor und markiert mit Strichen im Kalender Zeiten, in denen sie keine Termine annimmt. Diese Striche bleiben bestehen, auch wenn die Anfrage noch so spannend ist. Mich hat ihre Gewohnheit angesprochen und ich habe mich letztes Jahr hingesetzt und das für dieses Jahr auch gemacht. Diesen Strichen verdanke ich, dass ich letzte Woche ohne Mann und Kind einen Wanderritt in den Pyrenäen in Katalonien gemacht habe. Und diese Woche hat mich nochmal über die Bedeutung von Pausen – im Großen und im Kleinen – nachdenken lassen. Es tat mir so gut, alle meine Rollen abzustreifen, ganz im Moment zu sein, mich auf die wunderschöne Natur, mich selbst und das Pferd zu fokussieren. Ich konnte förmlich spüren, wie sämtliche Akkus aufgeladen wurden – und das nicht nur oberflächlich, sondern von Grund auf. Ich bin froh, dass mein Plan vom letzten Jahr bedeutet, dass dieser Sommer noch drei weitere Wochen frei mit sich bringt. Gleichzeitig habe ich aber auch gedacht, dass Pausen ja gar nicht nur in Form von Urlaub da sein müssen.
Ein eigentlich total banaler Gedanke, oder? Wir alle wissen um Dinge wie Work-Life-Balance (ein Begriff, der vielleicht auch schon etwas fade ist), wir lesen und sehen viel über Selbstfürsorge, Achtsamkeit und all die schönen Selbstoptimierungsdinge. Und doch bleibt die Frage: Wie sieht es mit den Pausen aus? Und welche Art von Pausen, von Möglichkeiten des Auftankens passen zu uns? Was tut gut? Und wovon brauchen wir vielleicht auch gar keine Pause?
Ich liebe das, was ich tue und ich bin froh, dass ich nicht zu den arbeitenden Menschen gehöre, die nur das Wochenende herbeisehnen. Das systemische sowohl-als-auch ist hier finde ich wieder passend; ich arbeite gern und viel, und ich brauche Zeiten, um aufzutanken, um das Hirn ruhen zu lassen und auch mal was ganz anderes zu tun. Oder auch Zeit, um einfach mal nachzudenken. Beide Dinge können zusammen da sein, ich muss mich nicht für das eine oder das andere entscheiden.
Dieses sowohl-als-auch ist etwas, das ich immer mal wieder auch mit Klient:innen erkunde. Mir fällt ein junger Mann ein, dem von seinen Eltern vorgehalten wurde, dass er sich zu viel vornehme. Er war beruflich sehr eingebunden, hatte ein zeitintensives Hobby, viele private Termine mit Freund:innen und kaum unverplante Zeit in seinem Alltag. Zu mir in die Praxis kam er, da er ein Gefühl von Unzufriedenheit verspürte, obwohl er all die Dinge, die er tat, gern tat. Er hatte bereits ausprobiert, Dinge zu streichen. Das machte ihn aber rastlos und ebenfalls unzufrieden. Sein Anliegen für unsere Arbeit war, die Unzufriedenheit zu beleuchten und zu schauen, welche Funktion sie hatte.
Im ersten Schritt visualisierten wir die einzelnen Dinge, die er so tut. Dafür nutzten wir Aufstellungsfiguren, die er um eine Figur für sich selbst anordnete. Das Bild zeigte, dass er inmitten der andere Figuren stand und kaum ein Abstand zu diesen war. In der Betrachtung des Bildes stellte er fest, dass ihm der Anblick ein wenig die Luft abschnürte. „Ich mag all diese Dinge, aber wenn ich das so sehe, finde ich es total anstrengend. Es ist zu viel, zu nah.“ Ich fragte ihn, welche Veränderung an dem Bild er gern vornehmen würde. Er nahm die Figur, die für ihn stand und stellte sie weiter weg von allem – und er ließ sie mit dem Blick weg von den Dingen stehen. Zu diesem Bild sagte er „Das ist im Grunde das, was ich gemacht habe, als ich mich radikal von allem abwenden wollte. Das war auch doof. Ich will ja auch nicht nichts machen. Aber irgendwie weiß ich nicht, was das richtige Maß für mich ist.“ Wir sprachen darüber, was seine guten Gründe dafür sind, so vielseitig aktiv zu sein. Das brachte ihn zu seinen Werten, bei denen sich unter anderem Geselligkeit und Lebensfreude, aber auch Leistung und Status fanden. „Ein bisschen mehr Gelassenheit und bei mir sein fänd ich ganz schön“, meinte er auf die Frage, ob er sich hier eine Veränderung wünschen würde. Ich lud ihn dazu ein, das Bild mit den Figuren so zu verändern, wie es aussehen könnte, wenn diese beiden Dinge mehr da wären. Er stellte seine Figur wieder mit Blick zu den anderen hin, ließ aber einen Abstand zu. Die anderen Figuren ordnete er mit etwas mehr Luft vor sich an, sodass er sie alle gut sehen konnte. Und dann nahm er eine Schnur, die er um seine Figur herumlegte. Ich fragte ihn, was diese Schnur zeigen sollte, und er sagte „Das ist mein Raum, indem ich einfach mache, was mir guttut. Ich weiß noch nicht so genau, was das ist. Aber ich merke gerade, dass ich total Lust habe, das herauszufinden. Und ich glaube, wenn ich mir das gönne, dann kommt auch die Gelassenheit.“. Im weiteren Verlauf unserer Arbeit begab er sich auf Entdeckungsreise und stellte fest, dass z.B. Spaziergänge alleine und fokussiertes Musikhören den Raum für sich bereichern. Seine Planungskompetenz, die er schon bei den anderen Dingen bewies, nutzte er nun dafür, diese Dinge bewusst einzuplanen.
Ob bei Klient:innen oder bei mir selbst: ich finde es spannend, wie unterschiedlich auch hier die Wirklichkeiten und Lösungen von Menschen sind. Ich habe mich letztes Jahr inspirieren lassen von zwei Kolleginnen, die sich längere Auszeiten gönnen. Also machte ich im Sommer 4 Wochen am Stück frei. Und merkte nach zwei Wochen, dass es mir eigentlich reichte. Dieses Jahr habe ich es anders geplant – die Auszeit ist gestückelt in zwei Mal eine und ein Mal zwei Wochen, dazwischen arbeite ich.
Neben diesen größeren Auszeiten hat mich in der letzten Woche auch beschäftigt, wie denn kleinere Striche aussehen können. Zeit für Sport und für Freunde ist eine Sache, aber dann dachte ich noch an Zeiten, in denen einfach nichts ist, oder Raum für etwas, das mich mit Freude erfüllt. Ein Freund von mir hat das Ziel, einen Nachmittag in der Woche freizuhalten für so einen Raum, in dem er „nerdige Dinge“ tun kann, wie Fachbücher zu lesen oder einem anderen Interesse nahchzuhängen. Das hat mich dazu bewogen, meinen Kalender für dieses Jahr durchzugehen und mir in möglichst jeder Woche einen freien Zeitblock einzutragen. Ich bin gespannt, was für ein Raum sich damit öffnen wird.
Du merkst, ich lasse mich in dieser Folge etwas treiben von Gedanken, die kommen. Zum Schluss bin ich neugierig, wie es bei dir ist: Wie groß ist dein Bedürfnis nach Strichen im Kalender? Wie zufrieden bist du mit dem Anteil von Zeit, die gut gefüllt ist und Zeit, die frei ist? Sind das überhaupt Kategorien, in denen du denkst? Oder hast du vielleicht ganz andere Kategorien zur Unterscheidung? Was sind für dich Dinge, die dich auftanken lassen? Wovon würdest du gern mehr machen, wovon weniger?
Wenn du magst, teile deine Gedanken dazu mit mir.
So, und das war es für heute mit fragmalneda. Du hast einen Gedanken zur Folge oder einen Themenwunsch bzw. eine Frage? Dann schreib mir gern eine Mail an hallo@neda-mohagheghi.de oder melde dich über social Media bei mir. Ich freu mich auf dich! Ciao!
Neuer Kommentar